Plötzlich ist er da: ein Schmerz in der Achillessehne. Der eine oder andere Hobby-Läufer erlebt dies nach ein paar Jahren seiner sportlichen Aktivität. Dahinter steckt meist eine Tendinopathie. Wir haben mit Prof. Dr. med. Heinz Lohrer, einem Experten für Sehnenerkrankungen, gesprochen.
Kategorie: #2 - 2016
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Warum Privat- und Beihilfe-Versicherte auf ihren Behandlungskosten sitzen bleiben
Immer öfter berichten Patienten, dass die private oder Beihilfe-Versicherung nicht die vollen Kosten für ihre Behandlungen beim Physiotherapeuten erstattet. Die Patienten bleiben dann auf einem Teil der Behandlungskosten sitzen und sind verärgert. Was steckt dahinter und wie können Sie dagegen vorgehen?
Das Problem besteht darin, dass es, anders als beim Arzt, keine einheitlichen Preise oder eine Gebührenordnung für die Behandlungskosten beim Physiotherapeuten für Privatversicherte gibt. Patient und Physiotherapeut müssen vor Behandlungsbeginn ein Honorar vereinbaren. Der Therapeut zieht zur Berechnung des Honorars den 2,3‑fachen VdEK-Satz (Verband der gesetzlichen Ersatz-Krankenkassen) heran. Dieser wird als oberste Grenze angesehen. Obwohl diese Berechnungsgrundlage rechtlich bestätigt wurde, begründen die privaten Kassen ihre Ablehnung zur Kostenübernahme oft damit, dass die Honorarforderungen zu hoch seien und beziehen sich hier auf die Liste der beihilfefähigen Höchstsätze von 2003. Diese decken die Kosten allerdings nicht vollständig ab und führen so bei Heil- und Hilfsmitteln zwangsläufig zu einer Zuzahlung. Das Bundesministerium des Inneren verweist ausdrücklich auf diese Tatsache. Solange sich das Honorar für eine physiotherapeutische Behandlung aber innerhalb der oben genannten Größenordnung des VdEK-Satzes bewegt, kann von einer angemessenen Höhe ausgegangen werden, bestätigten diverse Gerichtsurteile. Dass verschiedene Physiotherapie-Praxen unterschiedlich hohe Honorare verlangen, liegt in ihrer freien Gestaltungsmöglichkeit. Um einen angemessenen Preis zu ermitteln, muss auch die Behandlungszeit einer einzelnen Therapie berücksichtigt werden. Diese fällt meist wesentlich länger aus als bei gesetzlich versicherten Patienten, die bei diesen 15 Minuten beträgt. Zudem sollte auch die fachliche Qualifikation der Therapeuten berücksichtigt und entsprechend vergütet werden. Um als staatlich anerkannter Physiotherapeut neben der klassischen Krankengymnastik auch spezielle Behandlungsformen, wie Manuelle Therapie, Behandlungen auf neurophysiologischer Grundlage, Manuelle Lymphdrainage oder Krankengymnastik am Gerät durchführen zu können, sind zum Teil bis zu zwei Jahre dauernde, teure Fortbildungen nötig. Ein besonders qualifizierter Physiotherapeut verfügt dann natürlich über ein größeres Wissensrepertoire und kann meist besser und schneller diagnostizieren und behandeln, sodass der Patient schneller wieder gesund ist. Werden die Beschwerden gleich zu Beginn richtig gedeutet und behandelt, sind zudem weniger Behandlungen nötig. Höhere Kosten einzelner Therapieeinheiten können sich so rechnen. Auch die Ausstattung und Lage einer Praxis können zu unterschiedlich berechneten Preisen führen. Da Versicherungsgesellschaften gewinnorientiert arbeiten müssen, versuchen sie einige Ausgaben auf ihre Versicherungsnehmer abzuwälzen. Teilweise behaupten sie, der Therapeut nehme unüblich überhöhte Preise und man fordert Patienten auf, mit dem Therapeuten zu verhandeln oder sich einen günstigeren Therapeuten zu suchen. Lassen Sie sich aber nicht durch eine Ablehnung der Kostenerstattung abschrecken. Legen Sie Widerspruch ein und verweisen Sie auf den 2,3‑fachen VdEK-Satz sowie die fachliche Qualifikation Ihres Therapeuten. Bei vielen privaten Versicherungen hilft es auch, die vor Therapiebeginn unterschriebene Honorarvereinbarung der Rechnung beizulegen.
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wussten sie schon, dass Patienten nicht direkt zum Physiotherapeuten gehen können, obwohl der Nutzen bestätigt ist?
Viele Patienten wissen, dass man nur behandelt werden kann, wenn der Arzt das verordnet. Doch die Wartezeiten beim Arzt sind oft lang und ein Rezept für Physiotherapie zu bekommen, ist schwer. Warum kann man eigentlich nicht direkt zum Therapeuten gehen?
Geregelt ist das im Sozialgesetzbuch und Heilpraktikergesetz. Der Arzt muss die Physiotherapie verordnen, damit der Therapeut behandeln darf. Auf einer solchen Verordnung ist genau festgelegt, wie und wie oft behandelt werden soll. Der Physiotherapeut darf also nur die Therapie durchführen, die vom Arzt verordnet wurde. Begründet wird das damit, dass allein Ärzte zu einer Diagnose fähig seien. Doch das stimmt so nicht. Denn Physiotherapeuten können bereits kleine Abweichungen von Bewegungen erkennen und winzige Veränderungen im Gewebe ertasten. Den Patienten genau zu untersuchen, gehört zu ihrem Berufsalltag. Sie sind die Experten für die Funktionen des Bewegungsapparates. Die Vorsitzende des Verbands selbstständiger Physiotherapeuten Ute Repschläger fordert schon seit Jahren, dass die Berufsgruppe der Physiotherapeuten unabhängiger auf ihrem Fachgebiet agieren kann. Das Ziel ist der sogenannte Direktzugang der Patienten zum Physiotherapeuten. Hat ein Patient Schmerzen an Gelenken oder Muskeln, kann er dann selbst entscheiden, ob er deswegen den Arzt oder den Physiotherapeuten aufsuchen will. Im Ausland wie etwa in Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Norwegen oder Australien ist das schon seit Jahrzenten möglich.
Nur im deutschen Gesundheitssystem wird darauf beharrt, dass die Ärzte beim sogenannten Erstkontakt den Vorrang haben. Sie allein dürfen die Diagnose stellen, auf deren Grundlage dann behandelt wird. Da aufgrund der Altersentwicklung immer größere Ströme an Patienten die Wartezimmer fluten, sind die Mediziner auch hierzulande mehr und mehr belastet. Um sicherzustellen, dass Patienten auch in Zukunft medizinisch gut versorgt werden können, wurde im Juni 2015 im Bundestag das sogenannte Versorgungsstärkungsgesetz erlassen. Der Bundestagsabgeordnete Roy Kühne, der im Gesundheitsausschuss sitzt, forderte in diesem Zusammenhang den Direktzugang für Therapeuten. Doch der Bundestag lehnte ab und versperrt Patienten damit weiterhin den direkten Weg zum Therapeuten. Dabei befürworten auch viele Ärzte diese Idee: In einer Umfrage der Ärzte Zeitung vom April 2015 waren drei Viertel der über 4000 Befragten davon überzeugt, dass sowohl Patienten als auch Ärzte von einem Direktzugang zum Physiotherapeuten profitieren können. Um zu erproben, was passiert, wenn Physiotherapeuten ohne Diagnose und Verordnung des Arztes behandeln dürfen, läuft bereits ein Projekt in Berlin und Westfalen-Lippe. Seit 2011 stellen Ärzte bei Versicherten der „BIG direkt“ sogenannte Blanko-Rezepte aus. Physiotherapeuten wird zwar eine Diagnose vorgegeben, sie können dann aber selbst entscheiden, wie und wie oft sie behandeln. Sie haben so mehr Freiheiten auf ihrem Fachgebiet und können die Behandlungsart selbst bestimmen. Erste Ergebnisse zeigen: Dürfen Therapeuten frei entscheiden, geht es den Patienten besser. Sie haben weniger Schmerzen und müssen nicht so oft behandelt werden wie Patienten mit einer Behandlungsvorgabe des Arztes. Im Durchschnitt sind sie bereits eine Behandlung früher beschwerdefrei. Das schmälert die Ausgaben der Krankenkassen. Der Bundestagsabgeordnete Kühne kämpft weiter für den Direktzugang der Therapeuten und fragt: „Warum soll der Patient erst auf den Termin beim Arzt warten? Warum sollte er nicht direkt zu seinem Physiotherapeuten gehen dürfen, wenn er das will?“ Eine Möglichkeit gibt es jedoch bereits jetzt für Patienten, direkt zu ihrem Physiotherapeuten zu gehen. Der Therapeut muss zusätzlich zum Heilpraktiker ausgebildet sein. Dann darf er Patienten auch ohne Rezept des Arztes behandeln. Allerdings muss der Patient die kompletten Behandlungskosten dann selbst stemmen, denn die Krankenkassen bezahlen die Therapie weiterhin nur nach Verordnung des Arztes.
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wussten Sie schon, dass ein Fachkräftemangel in der Physiotherapie besteht?
Im Gesundheitswesen ist immer wieder von einem Fachkräftemangel die Rede. Neben dem in den Medien vielfach erwähnten Pflegeberuf ist auch die Physiotherapie betroffen. Sie gehört zu einem der 139 Engpassberufe, wie ein Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für das Bundeswirtschaftsministerium zeigt. Davon spricht man, wenn die Zahl der Arbeitslosen nicht ausreicht, um die offenen Stellen zu besetzen. So kamen in der Physiotherapie 53 Arbeitslose auf 100 unbesetzte Stellen. Dramatische Folgen kann der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen dann zeigen, wenn die geburtenstarken „Babyboomer“ in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen. Die Forscher gehen dann von einer Verschärfung des Fachkräftemangels aus. Nach Angaben des Verbands für Physiotherapeuten IFK suchen über 70 Prozent der Physiotherapie-Praxen in Deutschland qualifiziertes Personal. In der Physiotherapie bleibt zudem noch der Nachwuchs aus. Das Bundesministerium für Berufsbildung (BIBB) sammelte über das Statistische Bundesamt Daten zu allen Gesundheitsfachberufen. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2014 weist es darauf hin, dass sich immer weniger junge Menschen zum Physiotherapeuten ausbilden lassen. Seit 2007 sind die Zahlen um zehn Prozent zurückgegangen. -
Prof. Dr. med. Heinz Lohrer im Interview
Daniela Horas befragte den Experten der Sportorthopädie zum Thema Tendinopathien
Wie viele Patienten mit Tendinopathien kommen zu Ihnen in die Praxis?
Das sind so etwa 60 Prozent meiner Patienten. Aber die Patienten kommen erst zu mir, wenn sie in ihrer Belastbarkeit erheblich eingeschränkt sind, also wenn sie in ihrer Leistungsfähigkeit beim Sport stark zurückbleiben, im Alltag Schmerzen haben, zum Beispiel beim Gehen, oder wenn das Spazierengehen mit dem Hund ein Problem wird.
Eine Studie menschlicher Beine bei Rennen
© Bill Sodeman https://www.flickr.com/photos/billsophoto/5099063808/Über welche Beschwerden klagen die Patienten mit einer Tendinopathie der Achillessehne?
Diese Patienten haben zu Beginn einen Anlaufschmerz bei körperlicher Belastung wie Joggen oder Springen. Meist tut es ihnen ein paar Minuten weh. Sie humpeln ein paar Schritte und wenn die Sehne warm ist, wird es langsam besser. Das Ganze ist auch relativ lange tolerabel. Zumal viele dann mal einen Tag Pause machen und es wieder aufhört. Erst in einer fortgeschrittenen Phase bleibt der Schmerz auch während des Sports und schließlich auch im Alltag präsent.
Sind es nur Läufer, die sich bei Ihnen mit diesen Beschwerden vorstellen?
Bei uns sind es fast nur Läufer, wobei natürlich auch Fußballspieler, Volleyballer und Basketballer dazu gehören. 80 Prozent sind Jogger, die im Dauerlaufbereich trainieren. Das liegt natürlich an der Spezialisierung, die wir hier am Sportmedizinischen Institut in Frankfurt haben. Bei Tendinopathien der Achillessehne gibt es jedoch zwei Kollektive: Das eine sind die Sportler, das andere sind die Nicht-Sport-Patienten. Das heißt, auch Nicht-Sportler können ein Problem an der Achillessehne haben. Wobei das meistens nicht die Sehne selbst betrifft, sondern den Schleimbeutel unter der Sehne. Was man bei Nicht-Sportlern auch sehr häufig antrifft, sind die dorsalen Fersensporne.
Sie empfehlen als Hauptmaßnahme zur Behandlung der Achillessehnen-Tendinopathie, die Belastung zu reduzieren. Was heißt das genau?
Das ist im Grunde das Wichtigste, wobei man versuchen muss, die Belastung nicht ganz herauszunehmen, sondern diese zu modifizieren. Das heißt, die Patienten können ruhig ein bisschen trainieren. Viele würden ja sowieso nicht aufhören… Den Triathleten kann man dann zum Beispiel sagen, dass sie nur das Schwimmen und Radfahren trainieren sollen und das Laufen mal sein lassen. Aber ein klassischer Jogger, setzt sich nicht gern aufs Rad; sie machen dann zum Beispiel Aqua-Jogging. Damit kann man die Belastung ganz gut anpassen. Die Frage ist auch immer: Was ist eine längere Pause? Das, was der Patient darunter versteht, ist etwas ganz anderes, als das, was ich darunter verstehe. Beim Patient ist länger eine Woche. Bei mir ist länger ein halbes Jahr. Es ist also wichtig, dass man sich über konkrete Zeiträume unterhält, um eine Besserung zu erreichen.
Danke für das Gespräch.
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Die Achillessehne
Die Achillessehne befestigt die dreiköpfige Wadenmuskulatur (M. triceps surae) am Fersenbein. Sie besteht aus Bindegewebe und kann große Zugkräfte abfangen. Gerade beim Laufen ist das ein wesentlicher Mechanismus.
Wie alle Sehnen des Körpers ist sie weniger gut durchblutet als Muskelgewebe und so auch anfälliger für Verletzungen.
Auch andere Sehnen können von einer Tendinopathie betroffen sein, wie die der Unterarmmuskulatur („Tennis- oder Golfer-Ellenbogen“), der Schultermuskulatur („Schulter-Arm-Syndrom“) oder des Knies („Springerknie“). -
Manuelle Therapie, Osteopathie und Chriopraktik
Wie die Behandlung in jedem der drei Bereiche aussehen kann, erklären wir Ihnen anhand des folgenden Beispiels:
Eine Patientin hat seit einer Woche Schmerzen im Nacken. Diese treten vor allem bei Drehbewegungen des Kopfes, hauptsächlich beim Schulterblick im Auto, auf.
Was wird untersucht?
Manuelle Therapie:
Beurteilen des Ausmaßes der Bewegungseinschränkung sowie der Schmerzen
Osteopathie:
Feststellen eines Zusammenhangs der Bewegungseinschränkung des Kopfes mit Mobilitätseinschränkungen innerer Organe und Faszien
Chriopraktik:
Untersuchung des Bewegungsapparates von unten nach oben auf bestehende Blockaden
Welche Bewegungen und Gelenke werden getestet?
Manuelle Therapie:
Testen des Jointplays (Gelenkspiels) der unmittelbar betroffenen und der umliegenden Gelenke manuell und in der Funktio
Osteopathie:
Untersuchung der Mobilität der inneren Organe sowie Stand des Beckens und der Faszienketten
Chriopraktik:
Becken, Brust- und Halswirbelsäule werden auf Bewegungsstörungen oder Blockaden getestet
Wie wird behandelt?
Manuelle Therapie:
Möglichst schmerzfreie Mobilisation der eingeschränkten Wirbelgelenke
Stabilisation eventuell überbeweglicher Wirbelsegmente durch entsprechende KräftigungsübungenOsteopathie:
Sanfte Mobilisationen der Inneren Organe und des Bewegungsapparats (teilweise ebenfalls mit Manipulationen).
Behandlung der Faszien und des CraniosacralsysthemsChriopraktik:
Ausschluss ernsthafter Erkrankungen, die gegen eine Manipulation sprechen
Lösen der Blockade durch einen sanften, schnellen Impuls -
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Manueller Therapie, Osteopathie und Chiropraktik?
Das fragen uns viele Patienten. Und selbst für uns Physiotherapeuten ist es schwer, den Tätigkeitsbereich ganz genau abzugrenzen. Wir möchten Ihnen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Therapiemethoden aufzeigen.
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Meniskusriss: Übung besser als OP
Bei einem degenerativen Meniskusriss erzielt eine zwölfwöchige Übungstherapie ein besseres Ergebnis als eine Teilentfernung des gerissenen Meniskus im Rahmen einer Arthroskopie (Gelenkspiegelung). Die Forscher verglichen dabei die Kraft des vorderen Oberschenkelmuskels (Quadrizeps). Dieser hatte bei Patienten der Übungstherapie einen signifikant höheren Wert als bei operierten Patienten.
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Physiotherapie nach Bandscheibenoperation sinnvoll
Patienten, die nach einer Bandscheibenoperation an der Lendenwirbelsäule Physiotherapie erhalten, profitieren langfristig davon. In einer Studie vom Juni 2015 wurden die Patienten zwölf Jahre nach ihrer Bandscheibenoperation untersucht. Dabei hatten diejenigen, die nach der Operation Physiotherapie bekommen haben, bessere Funktionen als diejenigen, die keine Behandlung bekamen.